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Feuer und Klinge / Über die Bildhauerin Heidi Inffeld  
Die Klinge ist gerade eine Spanne lang und steckt in einem gut geformten Griffholz. Die schmale Schneide, nicht mehr als einen Finger breit, ist ein sorgfältig gepflegter Zugang zu einem eigenwilligen, ästhetischen Universum. "Dieses gerade, glatte Eisen ist mir das liebste Werkzeug. Mit dem kann ich eigentlich alles machen. Auch jede Rundung. Es dauert bloß länger als mit dem Hohleisen."
Dauer. Ausdauer. Diese beiden Aspekte bedingen einander. Holz, Stein, Stahl, das sind Stoffe, die letztlich keine flüchtigen Zuwendungen in Frage kommen lassen. Wo die Inffeld zupackt, wenn sie beispielsweise "ins Holz geht", ist Schweigen im Spiel. Sie liebt keine Zaungäste bei der Arbeit. Der Blick über ihre Schulter ist unerwünscht. Aber beschreibbar ist das Geschehen wohl. Aussagen darüber läßt sie zu, wenn ein Gespräch stattfindet. Dabei, bei ersten Skizzen, kommen Dualitäten zur Sprache. Nicht bloß Dauer und Ausdauer. Feuer und Klinge natürlich, weil eines das andere ermöglicht. Weil die Klinge eine besondere Rolle für sie spielt. Als Werkzeug und als Metapher. Kraft und Erfahrung spielen eine Rolle, damit Skulpturen werden. Schließlich: Das Männliche und das Weibliche.

Wenn man sie fragt, wenn man Antwort erhält, ist vom Venus- und vom Marsprinzip die Rede. Die gebündelte weibliche, die konzentrierte männliche Energie. Zwei Prinzipien, die sich in einer Formensprache ausdrücken, die sich in einer Synthese zeigen wollen. Zwei Polaritäten, die sich in bestimmten Materialien, in deren Eigenschaften repräsentieren. Zugleich stellt Inffeld klar, daß sie hier nicht mit Dogmen hantiert, sondern etwas benennt, was sich eigentlich jenseits der Sprache befindet. Ihre Sichtweise entlarvt das gängige "Entweder-Oder" als Konstruktion, hinter dem das oft verwirrende "Sowohl-Als-auch" steht. Auf jeden Fall zieht sie die alten astrologischen Motive als Beschreibungsmöglichkeit anderen, rationaleren Modellen vor. Demnach symbolisiert Mars das Zielgerichtete, die gebündelte, die zentrifugale Kraft. Venus das Offene, das Anziehende, die zentripetale Kraft. Und wenn man genau hinsieht, erweisen sich der Ratio stärker verpflichtete Konzepte keineswegs als präziser, stichhaltiger. Kunstwerke spotten dem allzu leicht.


In unserer Kulturgeschichte wird zwischen dem gezielten Blick und dem absichtslosen Schauen unterschieden. Zwei sehr unterschiedliche Wege, von der eigenen Umwelt etwas wahrzunehmen. Daraus folgen Deutungen, Erklärungsmodelle, die ihrerseits zwar nicht die Dinge sind, aber eine Denkhilfe über die Dinge bieten. So blickt die Inffeld auf ihre Materialien. Wie Stahl als das Berechenbare, das Kühle, das Männliche gedeutet werden mag. Und Holz als etwas Weibliches – als das Unberechenbare, das durch seine möglichen Einschlüsse überrascht. Inffeld: "Beim Stein bin ich mir über das `Geschlecht´ nicht im Klaren. Vielleicht ist er die Fusion der Prinzipien." Diese vexierende Situation, das Ganze zu schauen, das Detail zu erblicken, keines der Prinzipien über das andere zu stellen ... In diesem Sinn werden messer und Meißel geführt.

Deutungen, wie schon erwähnt. Das Deskriptive als sprachliche Annäherung an Dinge, die außerhalb der Sprache geschehen. Mehr sollte man davon nicht verlangen, da die Sprache seit jeher das Zeug zum Konquistador hat. Wenn die Inffeld gerade das Wort bevorzugt, wählt sie Text als Ausdrucksform. Hier aber geht es um Körper und Textur. Stoffe. Energien. Funbdstücke und Geschaffenes. Gewachsenes und Geformtes.

Kurz zurück zu den Werkzeugen und ihren Folgen. Das Feuer ist die Voraussetzung der Klinge. Die Verfügbarkeit der Kraft kommt vor der Erfahrung, in der die Kraft differenziert, verfeinert wird (was physische und mentale Kraft gleichermaßen meint). Diese Möglichkeiten sind natürlich keinem bestimmten Geschlecht zugeordnet oder vorbehalten. Wovon mag eine Skulptur handeln? Daß eine Idee Raum und Dauer erhält. Da wird die Plastik zu einem schönen Anlaß für einen versöhnlichen Moment angesichts der schweren Konsequenzen aus Descartes Irrtum: Daß Körper und Geist geschieden seien. Dieser "qualifizierte Glaube", daß sich unser Sein im Geiste und nicht in der Körperlichkeit ausdrücken würde, wird ja nicht bloß von zeitgemäßer Neurologie zurückgewiesen. Der Körper wirkt aktiv und kreativ am Denken mit. Das ist vielleicht eine fundamentale Bedingung für Skulpturen ... damit eine Idee im Raum bestehen kann, sich materialisiert ... durch die Hände (hier) der Bildhauerin. Daß Körperlichkeit am Schaffensprozeß kreativ mitwirkt.

Inffeld: "Ich arbeite mit schweren Materialien. Das Haptische ist für mich wesentlich an der Bildhauerei. Das gehört auch eher zum `weiblichen Energiekreis´. Zu weiblichen Lebensprozessen. Es ist ja so, daß Frauen sehr viel über die Hände, die Haut abwickeln müssen."

Die Idee ist also Anlaß, Kraft und Erfahrung, Feuer und Klinge anzuwenden. Die Werkzeuge wirken dabei nicht nur auf die Stoffe, aus denen eine Skulptur werden soll. Das muß demnach heißen: Die Werkzeuge in Inffelds Händen wirken immer nach zwei Richtungen. Sie formen ihre Skulpturen und ihren Körper. Sie verändern, wandeln das Stoffliche gleichermaßen wie das Immaterielle. "Wenn ich einen starken Durchgang habe, wenn ich eine große Skulptur hinter mir habe, bin ich eine Andere. Nicht nur physisch, mit all den Schnitten, Kratzern und blauen Flecken. Man hat eine veränderte Muskulatur. Man ist mental verändert."

Das Grobe und das Feine, die spontane Entscheidung und die Gewißheit von Dauer ... vieles geschieht in solchen Polaritäten. "Wenn ich mich in eine Plastik versteige, das heißt zum Beispiel sieben, acht Stunden mit der Motorsäge ..." Da wäre erst einmal grobe Arbeit getan, bei der manchmal physische Grenzen überschritten werden. Ganz anderer Art sind die Anforderungen, wo es um ausdauernde Konzentration geht; in der Detailarbeit, bei der Freilegung einer bestimmten Oberfläche. Inffeld: "Ich hab so ein subtraktives Vorgehen, wo man möglichst keinen Fehler machen darf, denn was weg ist, ist weg. Da könnte man dann höchstens was dazumogeln. Aber das ist nicht mein Fall." Stunden gleichförmiger Bewegungen auf eine bestimmte Partie zu verwenden, ohne die Ruhe und die Konzentration zu verlieren.

Erneut: All das handelt nicht von einem Entweder-Oder, nicht von bestimmten Positionen, die man einnehmen könnte. Es handelt viel eher von einem Verhältnis solche Positionen zueinander, von ihrer Wechselwirkung. Männlich – weiblich. Sonne – Mond. Mars – Venus ... welche Metaphern man auch bevorzugen mag. Positionen handeln von Eindeutigkeit. Das ist – zumindest in unserer Kultur – für viele sehr verführerisch. Kunstwerke, so darf vermutet werden, handeln meist viel eher von Uneindeutigkeit. Das ist zugleich ein überaus vitales Prinzip, denn Leben, unser aller Leben, verdankt sich der Vielfalt, der Mehrdeutigkeit, der Flexibilität. Und diesbezüglich rekommandieren Frauen wahrscheinlich zurecht manche Kompetenzen, die in einer vorherrschenden Männerkultur nicht gerade zu Leitbildern gehören. (Aber das ist eine andere Geschichte.) Also: Statt der Eindeutigkeit dieser oder jener Position das Einlassen auf Wechselwirkungen.

Die Inffeld spricht hier auch von einem "physischen Vergnügen". Oder von der "Freude an einem präzisen Schnitt". Ferner von etwas, das sich zur "Verbissenheit" versteigen kann. Denn "das Werk muß aus allen Perspektiven standhalten können". Wo einem "schon alles weh tut und du kannst nicht lockerlassen", weil immer noch Scharten zu glätten sind. Bis sich diese Klarheit einstellt: "Jetzt ist es fertig, jetzt wird es nicht mehr besser."

Nun noch zur Frage, was es dabei mit "männlicher und weiblicher Kunst" auf sich haben mag. Wer würde die Geschlechterdifferenz bezweifeln, jene vielfältigen Konsequenzen aus einer sich fundamental unterscheidenden Physis und deren Lebenszyklen? Aber was bedeutet das im einzelnen? Wer würde bezweifeln, daß Rollenbilder und -zuschreibungen Folgen haben, daß es zwei verschiedene "soziale Geschlechter" gibt, welche Biografien prägen? Aber worin generalisiert man vorzugsweise soziologische Kategorien? Und was folgt daraus für die künstlerische Praxis? Wer könnte ignorieren, daß ökonomische Bedingungen und Ideale die Wertekataloge und Ideologien von Menschen heftig beeinflussen? Wer dürfte jene Dokumente mißachten, welche belegen, daß Frauen generell ganz andere ökonomische Bedingungen aufgezwungen bekommen als Männer?

Es finden sich also auf Anhieb mehr Fragen denn verlockende Antworten. Ob es Ärztinnen oder Sekretärinnen schätzen, eher allgemein als statistische Größe beschrieben zu werden, steht hier nicht zur Debatte. Daß Künstlerinnen ihre Arbeit als "Frauenkunst" verstanden wissen wollen, darin kategorial von "Männerkunst" unterschieden, mag vereinzelt vorkommen und dann seine Begründungen haben. Häufig scheint es heute nicht zu sein. Und auf die Inffeld trifft es auch nicht zu.

Künstlerische Praxis darf sich ihre Sujets beliebig wählen und ist keinem Thema von sich aus verpflichtet. Inffelds Arbeit hat nun einmal keinen Geschlechterdiskurs zum Inhalt. Die Arbeit der Kunstschaffenden ist eine private Mythologie. Freilich scheut dieser Mythos kein gelegentliches Rendezvous mit dem Logos. Aber eben bloß bei entsprechender Laune. Und damit hat sich die Sache ... diese Sache. Folglich zuckt sie auch bloß die Schultern, wenn man sowas zur Sprache bringt: "Männerkunst / Frauenkunst". Sie ist mit Kunstwerken befaßt und mit dem, was ihr abverlangt wird, damit die Arbeiten entstehen können. Als Teil eines teilweise unbändigen Lebens. Noch Fragen?